Der Ölpreis hat sich wegen des Überangebots auf den internationalen Märkten binnen weniger Monate mehr als halbiert. Vor einem Jahr kostete ein Barrel (159 Liter) der Nordsee-Sorte Brent noch zirka 115 Dollar, zur Zeit liegt der Preis bei ungefähr 60 Dollar, nachdem er vor wenigen Wochen schon bei unter 50 Dollar gelegen war. Für viele Konsumenten ist das eine große Erleichterung, die Kosten für Diesel oder Benzin sind etwas gesunken, auch das Heizen wird durch den geringeren Heizöl- bzw. Gaspreis billiger. Doch wie wirkt sich diese Entwicklung auf den Umweltschutz und insbesondere auf Unternehmen aus, die im Nachhaltigkeitssegment tätig sind?
Umwelt als Verlierer?
Die Meinungen von Experten und Analysten gehen dabei auseinander. Die aktuelle Entwicklung könnte sich als durchaus problematisch erweisen, denn durch den erwähnten Ölpreisverfall sinkt die Wettbewerbsfähigkeit von alternativen Energieformen wie Elektroautos oder Solarenergie. James Stock von der Uni Harvard warnt: „Es wird eine erhöhte Nachfrage nach Erdölprodukten geben und weniger Anreiz für alternative Technologien.“
Ähnlich sieht es Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW): „Grundsätzlich verleiten niedrige Energiepreise eher zu einem weniger effizienten Umgang mit Energie. Insofern können niedrige Ölpreise eher die nachhaltige Gebäudeenergie und Mobilitätswende gefährden, wenn die Politik nicht gegensteuert“. Doch für die Energie-Expertin ist klar, dass sich Maßnahmen und Investitionen in alternative Energien immer lohnen. Insbesondere wenn es sich um energiesparende Aktionen handelt.
Kemfert weiter: „Ich glaube, dass der niedrige Ölpreis zur Zeit wenig Auswirkungen auf nachhaltige Unternehmen haben wird, denn nachhaltige Investitionen sind mittel- und Geld mit Öl zu verdienen ist: „Jetzt ist die Zeit reif, sich darauf gut vorzubereiten“.
Automobilhersteller könnten Probleme mit den Klimaschutzzielen bekommen
„Der niedrige Ölpreis macht speziell im Mobilitätssektor derzeit viele Anstrengungen zum Klimaschutz kaputt“, klagt Sven Teske, Energieexperte von Greenpeace Deutschland, Anfang Jänner im „Spiegel“. Das schlägt sich auch in den PKW-Zulassungen im zweiten Halbjahr 2014 nieder: Spritfressende Autos wie etwa SUVs und Geländewagen feiern ein Comeback. Auf eine problematische Entwicklung verweist auch der deutsche Automobilverband VDA, der sich vehement für den Einsatz umwelt- und klimafreundlicherer Ressourcen im Straßenverkehr einsetzt. „Durch den niedrigen Ölpreis wird es den Autoherstellern erschwert, mehr Kundschaft für Elektroautos zu gewinnen. Gleichzeitig wird es auch problematischer, alternative Antriebe in den Markt zu bringen“, sagte VDA-Präsident Matthias Wissmann der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.
Sollte der Preis für den Treibstoff weiter niedrig bleiben, kann das Erreichen der Klimaschutzziele für die – vor allem deutschen – Automobilproduzenten eine ganz schwierige Mission werden. Bis 2020 müssen die Autoherstellerdie durchschnittliche Flottenemission auf unter 95 Gramm CO2 pro Kilometer senken.
Ein Analyst von Raymond James Financial sieht auf die Solar- und Windkraftbetreiber in Europa und Amerika keine Auswirkungen, denn „Energiepreise sind nicht direkt an den Ölpreis gebunden und in einigen Ländern spielt Diesel eine Rolle bei der Verstromung, aber auch hier kann Solar mithalten“.
Marc van Gerven von First Solar sieht sein Unternehmen und die Solar-Industrie weiter im Vorteil: „Ölpreisschwankungen haben wenig Einfluss auf Solar oder viele andere erneuerbare Energiequellen. Das ist einer der wirtschaftlichen Vorteile von Solar und zum Teil der Grund, warum es so überzeugend, einzigartig und wertvoll ist. Zum Beispiel bilden bis zu 50% der Kosten einer fossilen Anlage die Kosten des Kraftstoffs, während die Sonneneinstrahlung im wesentlichen gratis ist.“
Laut Lazards`s „Levelized Cost of Energy Analysis - Version 8.0“ – die Studie wird seit 2008 jährlich veröffentlicht – sind die Energiekosten aus neuen Utility-Scale-Solar- und Windkraftwerken auch ohne Förderungen in vielen Ländern zunehmend wettbewerbsfähiger als konventionelle Energieträger wie Kohle, Erdgas und Kernenergie. In dieselbe Kerbe schlägt auch eine aktuelle Studie von Greenpeace Energy, die belegt, dass erneuerbare Energien nicht nur sauberer sind als Kohle und Atom, sondern auch „deutlich kostengünstiger“.
Erst im zweiten Halbjahr 2015 wieder „normale“ Preise?
Für das Research-Team der DekaBank dürfte sich der Ölmarkt in der aktuellen Situation in einer ausgeprägten Untertreibungsphase befinden. Die Analysten sehen erst wieder einen „normalen“ Ölpreis von zirka 90 Dollar, wenn das vorhandene Überangebot an Öl abgebaut ist. Denn das weltweite Ölangebot sei ausgehend von den nicht OPEC-Ländern, insbesondere den USA, in der zweiten Jahreshälfte 2014 überraschend stark ausgeweitet worden, stärker als die globale Ölnachfrage. Durch die Unwirtschaftlichkeit der technologieintensiven und teuren Methode „Fracking“ (Hydraulic Fracturing) sei die Zahl der US-Bohrlöcher zurückgegangen.
Im Herbst 2015 – im ersten Betriebsjahr wird das meiste Rohöl gefördert – könnte damit das US-Ölangebot merklich gedrosselt werden und die erwartete schwächere Angebotsentwicklung könnte dann zu einer Trendwende des Ölpreises nach oben führen.
Was das Thema Fracking, Gegenstand kontroverser und vielschichtiger Auseinandersetzungen, betrifft, sieht der US-Umweltschützer Ashok Gupta im niedrigen Ölpreis auch einen Vorteil: „Ein niedriger Preis sorgt dafür, dass dreckiges Öl im Boden bleibt.“ Das umstrittene Fracking und die Gewinnung von Rohöl aus Teersand sei bei einem niedrigen Ölpreis unter 60 bis 80 Dollar nicht mehr gewinnbringend, für einige US-Firmen könnte zudem ein lang anhaltender niedriger Preis das Aus bedeuten.