21 Okt 2022
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Autor:
red/ag
/ Simon Bernlieger
In einer Kreislaufwirtschaft geht es darum, den Wert von Produkten, Stoffen und Ressourcen innerhalb der Wirtschaft so lange wie möglich zu erhalten und möglichst wenig Abfall zu erzeugen. Welche Rolle Künstliche Intelligenz dabei spielen kann, haben an die 300 Teilnehmende beim csrTAG 2022 in Wien erfahren.
„Digitalization will be driving the transformation, but sustainability will be shaping it“, sagt der Präsident des World Business Council for Sustainable Development. Dieses Zitat von Peter Bakker, hatte die Moderatorin des csrTAG, Katrin Muff, Institute for Business Sustainability, zum Auftakt der Veranstaltung gewählt. Für respACT-Geschäftsführerin Daniela Knieling trifft es den Kern, worauf wir bei der Transformation der Wirtschaft achten müssen, damit sie alle einschließt und niemanden zurücklässt.
Zusammenarbeit und ein gesellschaftliches Miteinander lautet die Devise, denn „die Zeit der Einzelkämpfer ist vorbei,“ meint Karin Huber-Heim, Circular Economy Forum Austria: „Derzeit haben wir nirgendwo eine bessere Antwort auf die multiplen wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen, denen wir uns auch noch in den kommenden Jahrzehnten werden stellen müssen. Neue Geschäftsmodelle und kreislauffähige Wertschöpfungsketten stehen dabei im Fokus.“ Eine prominent besetzte Podiumsdiskussion unterstrich die Rolle privater Investoren für eine nachhaltige Transformation der Wirtschaft.
Mit der EU-Taxonomie Verordnung hat Europa das Fundament für mehr Nachhaltigkeit in der Wirtschaft gelegt. „Die EU-Taxonomie ist ein Klassifizierungssystem für ökologisch nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten. Von der Taxonomie betroffen sind Finanzmarktteilnehmer und Unternehmen, für welche die Verpflichtung gilt, eine nicht-finanzielle Erklärung abzugeben“, erklärt Marina Luggauer, KPMG.
Vorsorgekassen und Pensionskassen sind sich ihrer Verantwortung für Menschen, Umwelt und Unternehmen bewusst: „Die größte Gestaltungsmöglichkeit und die größte Wirkung haben wir über unsere Veranlagung. Es ist uns wichtig, dieses Potential zu nutzen, um nachhaltige Veranlagung zu fördern“, unterstreicht Michaela Attermeyer, VBV.
Rainer Borns, Volksbank Wien und Roland Hassler, BKS Bank hoben die Bedeutung regionaler Geldkreisläufe zur Förderung der lokalen und regionalen mittelständischen Wirtschaft als Gegenpol zum nomadisierenden Kapital auf internationalen Finanzmärkten hervor.
Sonja Wallner, Finanzvorstand der A1 Telekom Austria AG meint dazu: „Wie nachhaltig Unternehmen agieren, lässt sich nicht nur an den unmittelbaren ökologischen und sozialen Auswirkungen ihrer eigenen Geschäftsprozesse ablesen. In einer immer stärker vernetzten Welt tragen Unternehmen auch Verantwortung dafür, wie ihre Zulieferfirmen und Geschäftspartner agieren.“
Für Christoph Thun-Hohenstein, Sonderbeauftragter im BMEIA für Grundsätze der Zukunftsgestaltung, sind eine "Umfassende Kreislaufwirtschaft und ganzheitliche Kreislaufkultur“ das Rückgrat zukunftsfähigen Wohlstands. „Als wirkmächtigster Technologie des 21. Jahrhunderts kommt Künstlicher Intelligenz eine Schlüsselrolle für die ambitionierte Nutzung zirkulärer Potenziale zu. Das Zusammenspiel von Künstlicher Intelligenz und Kreislaufwirtschaft kann somit zum Gamechanger für eine ressourcenleichte und emissionsarme Lebens- und Wirtschaftskultur werden."
Gesellschaftliche Problemlösung und Fortschritt sind ohne Innovation einfach nicht denkbar. Klar ist, dass bei der Lösung von gesellschaftlichen Herausforderungen eine rein technische Perspektive nicht ausreicht. „Das heißt, wenn wir nachhaltig Wirkung erzielen wollen, ist der technologische Fortschritt kein Selbstzweck, sondern Werkzeug hin zu unseren gesetzten Zielen – wie unseren Klimazielen. Das bedeutet auch, über den Tellerrand hinauszublicken, und Neuerungen und Innovationen mehr Aufmerksamkeit zu schenken, die nicht die Technik im Zentrum haben“, erklären Barbara Coudenhove-Kalergi, Expertin für Nachhaltigkeit der Industriellenvereinigung und Daniel Zins, WKO. Auf dem Weg in eine nachhaltige und lebenswerte Zukunft stelle sich für alle innovativen Vorhaben die Frage, welche Haltung, welches Umfeld und welche Rahmenbedingungen nötig sind, um positiv gesellschaftlich wirksam – Impact - Innovation zu erzielen.
Die Session des Global Compact Networks Austria „Digitalisierung, Menschenrechte und unternehmerische Verantwortung“ ist beim csrTAG 2022 der Frage nachgegangen, wie digitale Technologien, insbesondere KI, Unternehmen dabei unterstützen können ihre Verantwortung entlang der Lieferkette wahrzunehmen.
Ganz konkrete Beispiele, wie Kreislaufwirtschaft in der Wirtschaft schon heute funktioniert, haben Forscher und Unternehmensvertreter am csrTAG 2022 aus sechs Branchen vorgestellt.
In der EU werden pro Jahr 88 Millionen Tonnen essbare Lebensmittel weggeworfen
Der potenzielle Wert, den Künstliche Intelligenz zur Vermeidung von Verschwendung in einer Kreislaufwirtschaft beiträgt, beläuft sich im Jahr 2030 auf bis zu 127 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Wie mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz Lebensmittel vor Verschwendung gerettet werden können, zeigte das Projekt APPETITE von Fraunhofer Austria. Ein Forschungskonsortium mit Expertise in den Bereichen Supply Chain Management, Informations- und Kommunikationstechnik und Lebensmittelhandel hat sich hier zusammengetan, um gemeinsam ein Prognose-Tool zu konzipieren, welches einen Teil der Lebensmittelverschwendung bereits im Vorhinein abwenden soll. Eine Prognose-Methodik soll Angebot und Nachfrage auf regionaler Ebene besser in Einklang bringen und dafür sorgen, dass es erst gar nicht dazu kommt, dass sich große Mengen von Lebensmitteln zur falschen Zeit am falschen Ort befinden. Durch den Eingriff in der Mitte der Lieferkette soll die Verschwendung der Lebensmittel um bis zu 10 Prozent reduziert werden.
Wie die steirische Brauerei Gösser regionale Kreisläufe innovativ einsetzt und damit schon 2016 die erste „grüne“ Großbrauerei weltweit wurde, stellte Gabriela Maria Straka vor, Brau Union Österreich und respACT-Landeskoordinatorin für Oberösterreich.
Textilien sind weltweit die viertgrößten Abfallverursacher
Es bedarf ein Umdenken bei Konsumenten und bei Herstellern neue Konzepte im Sinne der Kreislaufwirtschaft zu etablieren. Ein richtiges „Eco-Design“ bildet dabei den Anfang. Im Arbeitskreis „Textilien“ gaben Christiane Luible-Baer, Kunstuniversität Linz und Andreas Bartl, TU Wien Einblicke in aktuelle Forschungsprojekte. Sonja Zak, Lenzing Group, Günter Grabher, Grabher Group und Wolfgang Hermann, Erema Group berichteten über Innovationen in ihren Unternehmen und stellten sich unter der Leitung von Reinhard Backhausen, Textile & Circular Consulting, den Fragen des Publikums.
Um Kreislaufwirtschaft zu ermöglichen, braucht es einen integrierten Ansatz
„Unsere Ambition ist es, den Umstieg auf eine Kreislaufwirtschaft zu beschleunigen. Wir setzen daher auf ein zirkuläres Produktportfolio basierend auf mechanisches und chemisches Recycling sowie bio-basierenden Rohstoffen. Um die Qualität und Verfügbarkeit von nachhaltigen Produkten zu erhöhen, schließen wir Kooperationen und arbeiten mit allen Partnern der gesamten Wertschöpfungskette eng zusammen“ erläutert Dorothea Wiplinger, Borealis.
Ein anderes Beispiel ist das Foam Return Programm von NEVEON. Gemeinsam mit BASF möchte NEVEON Matratzenschäume in den Produktlebenszyklus zurückführen und damit Matratzen ein zweites Leben geben, wie Michael Bednarek vorstellte.
Nur 14 Prozent der weltweit verwendeten Kunststoffverpackungen werden recycelt
Zu 40 Prozent landet Kunststoffverpackung in Deponien, 32 Prozent in Ökosystemen, 14 Prozent werden verbrannt. KI hilft bei Nachverfolgbarkeit und bei Sortierung der Kunststoffe. Wie das weltweit tätige Verpackungs- und Papierunternehmen Mondi kreislauffähige Verpackung designt, damit Konsument*innen Kunststoff und Papier leichter trennen können, zeigte Jan-Mark Wilke am Beispiel des Produkts „PerFORMing Monoloop“.
Wie aus Plastikabfall der Getränkeindustrie wertvoller Rohstoff wird, erklärte Christian Strasser, Geschäftsführer PET to PET Recycling und respACT-Landeskoordinator für das Burgenland. Die Plattform für Gewerbeabfälle, wo sich Angebot und Nachfrage auf dem Markt treffen, präsentierte David Mattersdorfer, Country Manager Cyrkl Österreich. Die Kreislaufwirtschaftslösungen der Wien Energie stellte Laura Fariello vor.
“Wussten Sie, dass für die Herstellung eines einzigen PCs 1,9 Tonnen Rohstoffe notwendig sind?”
Diese Frage warf Gernot Hochfellner, Geschäftsführer der AfB in der Session „Elektronik und IKT“ ins Publikum. Das gemeinnützige Inklusionsunternehmen holt gebrauchte IT-Geräte ab, erfasst Gerätedaten, schreddert Datenträger und bringt nach Datenlöschung und Aufarbeitung brauchbare Geräte wieder in den Markt. Nicht vermarktbare Geräte werden zerlegt und wertvolle Rohstoffe am Markt einzeln verkauft. Damit schafft AfB neue Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung. Über zirkuläre Geschäftsmodelle in diesem Bereich und warum KI dabei die Recyclinginfrastruktur für Elektroschrott durch die Kombination von Bilderkennung und Robotik verbessert, diskutierten am Podium Réka Bálint, Samsung, Alexander Stock, A1 Telekom Austria und Gernot Hochfellner, AfB, unter der Leitung von Constantin Saleta, denkstatt.
In Österreich fallen an die 10 Millionen Tonnen Bau- und Abbruchabfälle pro Jahr an
Wie möglichst viel von diesem Material durch Re-Use und Recycling im Nutzungskreislauf gehalten werden kann erklärte Irene Schanda, BauKarussell. Das erste österreichische Start-up, das Social Urban Mining konzipiert hat und zur Umsetzung bringt, vereint verwertungsorientierten Rückbau, Kreislaufwirtschaft und soziales Engagement „und schafft damit ökologischen und sozialen Mehrwert für Bauherren, Umwelt und Menschen.“
Für Klaus Reisinger, iC Consulenten, reichen die Maßnahmen der Österreichischen Regierung bei weitem nicht aus, um den Gebäudesektor bis 2035 klimaneutral zu machen. „Wir müssen das Tempo deutlich erhöhen.“ Er bezog sich auf eine aktuelle Studie der Arbeitsgruppe „klimaneutrale Gebäude“ der IG Lebenszyklus, die zum Schluss kam, dass ein modernes Passivhaus im Speckgürtel von Wien einen deutlich schlechteren CO2- Fußabdruck hat, als ein schlecht isoliertes Gründerzeithaus in der Innenstadt. „Daher sollten wir uns künftig nicht nur überlegen, wie die Gebäude der Zukunft errichtet werden sollen, sondern wir sollten uns viel stärker als bisher damit beschäftigen wo wir die Gebäude hinstellen wollen. Die jetzige Zersiedelung ist keinesfalls nachhaltig," betont der Klimaschützer.
Ein Beispiel für nachhaltiges urbanes Wohnen ist das LeopoldQuartier in Wien, Europas erstes Stadt-Quartier in Holzbauweise. „Es verbindet die Qualitäten natürlich gewachsenen Holzes mit den Vorzügen modernster Baumaterialien. Durch die konsequente Nutzung von Erdwärme, Erdkälte und Photovoltaik ist das Quartier im Betrieb CO2-neutral. Die Energie stammt zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen. Das intelligente Zusammenspiel aus moderner Sensorik und digitaler Gebäudeautomatisierung reduziert zudem den Energiebedarf nachhaltig und erheblich“, erläutert Oliver Huber, UBM.
Wie Künstliche Intelligenz und Kreislaufwirtschaft in der Beleuchtung einen Beitrag zur Nachhaltigkeit von Gebäuden leisten, stellten Sebastian Gann, Zumtobel Group und Hermann Marte, Tridonic vor.
Künstliche Intelligenz zu Gast am csrTAG 2022
In der Aula präsentierte die Kunstuniversität Linz das Forschungsprojekt Fashion and Robotics. Ein Mikroskop-Roboter-Setup ermöglichte Teilnehmenden am csrTAG einen wissenschaftlichen Einblick in die Struktur neu entwickelter Materialien am Beispiel einiger nachhaltiger Materialmuster aus organischer Substanz. Sie ermöglichen dreidimensionale parametrische Bekleidungsdesigns, die eine nachhaltigere und individualisierte Bekleidungsproduktion anregen könnten. Die Forscher haben mehrere Experimente mit Motion Capturing und Künstlicher Intelligenz zur Planung von Roboterbewegungen und zur Erforschung des Potenzials neuer Produktionsmethoden durchgeführt.
Mit dem Roboter „Hawkeye“ zeigte die niederösterreichische Brantner Gruppe, vertreten durch Josef Scheidl, dem zweiten Keynote-Speaker des csrTAG 2022, wie KI in der Abfallwirtschaft funktioniert. Ein konkreter Anwendungsfall ist die Aufbereitung von Biomüll oder die Trennung verschiedenster Kunststoffe, wo KI erkennt, ob sich Störstoffe darin befinden.
Beim csrTAG 2022 im A1 Headquarter in Wien haben an die 50 Speaker in 10 Programmpunkten und 8 Breakout-Sessions ihr Wissen über Kreislaufwirtschaft an knapp 300 Teilnehmende aus Wirtschaft und Forschung weitergegeben. Mit Hilfe von Climatepartner haben wir 2.612 Kilo CO2 der Veranstaltung kompensiert und damit den Waldschutz in Matava, Kolumbien unterstützt.
Der csrTAG 2022 hat gezeigt: Es werden in Zukunft vor allem unternehmensübergreifende Kooperationen innovativer Unternehmen und Forschungseinrichtungen sein, die die Transformation zu einer stärker kreislauforientierten Wirtschaft ankurbeln können.